Die Corona-Krise als Chance?
Foto von Silvision flickr.com (CC BY-ND 2.0)
Was könnte, was sollte sich ändern in unserer Gesellschaft?
Nichts- könnte eine erste Antwort sein, wenn wir uns an die letzte Krise, die sogenannte Bankenkrise, erinnern. Außer ein paar härteren Auflagen für die Banken und Finanzmärkte, die teilweise auch wieder aufgeweicht wurden, hat sich nichts verändert am System der Spekulationen, der computer-gesteuerten Transaktionen, der Derivate und Wetten auf die Zukunft, kurz, des Casino-Finanzsystems. Über die tieferen Ursachen des Zusammenbruchs, die auf Grundprobleme der kapitalistischen Wirtschaft hindeuten könnten, wurde – außer von einigen Wissenschaftlern – nicht weiter nachgedacht, geschweige denn gegengesteuert.
Aber dieses Mal könnte es anders sein. Ich habe dafür zwei Gründe:
Der erste ist, dass ich grundsätzlich Optimist bin und es nicht ausschließe, dass die Menschen lernfähig sind, zum anderen gibt es sehr viele Anzeichen dafür, dass die Menschen diese Krise anders spüren und darauf anders reagieren als damals. Man darf nicht vergessen, dass bei der Bankenkrise die Menschen mehr oder weniger zum Zuschauen verdammt waren und das Handeln den Politikern überlassen mussten, die nur das Nächstliegende im Auge hatten. Dieses Mal sind die Menschen selbst elementar betroffen und erleben hautnah den Zusammenbruch all dessen, was ihnen vorher nicht nur selbstverständlich, sondern scheinbar auch notwendig war.
Es könnte also sein, dass sich unsere vom Egoismus und Wettbewerb geprägte, an Geld, Karriere und Status orientierte Gesellschaft entschleunigt und den Wert des Miteinander und der Gemeinschaft wieder entdeckt.
Dazu ist es notwendig,
dass jeder bei sich anfängt und die Lehren aus dem Verlust aller bisherigen Sicherheiten und Gewohnheiten zieht,
dass man freiwilligen Verzicht übt gegenüber dem, was man offensichtlich nicht braucht dass man Widerstand leistet gegen die Weckung von angeblichen Bedürfnissen durch die
allgegenwärtige Werbung
dass man Rücksicht nimmt auf die Natur in all ihren Bereichen
dass man verzichtet auf Nahrungsmittel aus industrieller, d.h. tierquälerischer, Produktion
dass man sparsam und schonend Energie verbraucht
dass man sich einschränkt bei der Mobilität – im täglichen Verkehr und in den Ferien
dass man die Rücksicht und Hilfsbereitschaft gegenüber den Nachbarn, die man in der Krise so selbstverständlich geübt hat, in der neuen Normalität weiter pflegt.
Nur wenn wir uns selber ändern, haben wir ein Recht, die Politik aufzufordern, den Kurs, den die Gesellschaft fährt, von Grund auf zu ändern:
dass sie sich endlich von der Fixierung auf ein ständiges Wachstum der Wirtschaft befreit, die zu sinnloser Überproduktion und Zerstörung der Umwelt führt,
dass sie die obszöne Ungleichheit der Vermögensverhältnisse – nein, nicht beseitigt, aber erheblich mildert, dass sie die Ökonomisierung des Gesundheitswesens beendet,
dass sie die Privatisierung lebenswichtiger Ressourcen (Wasser, Energie, Wohnen) aufhält und wieder zurückführt,
dass sie dafür sorgt, dass die wahren Dienstleister der Gesellschaft (Alten- und Krankenpfleger, Bus-, Bahn- und LKW-Fahrer, Abfallbeseitiger, Feuerwehrleute, Polizisten, Sozialarbeiter und andere) ihrer Leistung entsprechend bezahlt werden,
dass sie die Rettung des Planeten endlich ernst nimmt und die dafür notwendigen Maßnahmen einleitet. Die Krise hat gezeigt, dass die Menschen bereit sind, Einschränkungen hinzunehmen, wenn es um das gemeinsame Gut geht,
dass sie sich daran macht, die Voraussetzungen für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu schaffen
dass sie mit Europa von Grund auf neu anfängt, nachdem diese Krise den letzten Zweifel beseitigt hat, dass die bestehenden Strukturen und Institutionen in der Lage sind, eine wirkliche europäische Einheit zu schaffen.
Man könnte und man sollte noch so viel mehr machen. Aber fangen wir erst einmal damit an. Wenn uns auch nur ein Teil davon gelingt, dann hat diese Krise, die so viel Geld verschlungen hat, sich mehr als gelohnt.