Werner Peters
Partei der Nichtwähler - Der schlafende Riese
"Es ist gar nicht so sehr die Erfahrung, dass Wahlversprechen gebrochen werden, es ist vielmehr das Empfinden, dass Wahlen, die ja zu veränderten Mehrheiten in den Parlamenten führen sollen, an den Grundproblemen der Gesellschaft nichts ändern, dass sich vor allem für den Bürger nichts ändert, weil sich die Politiker letztlich für ihn nicht interessieren, sondern nur für sich selbst."
Der schlafende Riese
Schon seit einiger Zeit verweist die Gruppe der Nichtweile oder, wie sie von den Journalisten bisweilen - teils ha ironisch, teils durchaus respektvoll – genannt wird, die Partei der Nichtwähler alle anderen Parteien auf die Plätze. Dass die noch nicht so dramatisch ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gedrungen ist, geht auf die einfache Tatsache zurück, dass der An. teil der Nichtwähler, sagen wir dreißig Prozent, von der Gesamtzahl der Wahlberechtigten gezogen wird, die Prozente der Parteien aber von der Zahl der abgegebenen und gültigen Stimmen. Würde man fairerweise dieselbe Berechnungsmethode anwenden, so hätte etwa die CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2009 gegenüber den 29,2 Prozent der Nichtwähler gerade mal 23,6 Prozent der Wahlberechtigten auf sich vereinigt, die SPD 16 Prozent, die FDP 10,2 Prozent und die Grünen 7,5 Prozent.
Natürlich schlägt sich dieser Wahlerfolg nicht in Mandaten nieder, ist doch diese sogenannte Partei gänzlich unorganisiert, überaus heterogen, weitgehend desorientiert und angeblich gerade dadurch gekennzeichnet, dass ihre (Nicht-)Wähler an der Politik keinen Anteil nehmen. Nichtsdestoweniger hat sie inzwischen so viel an politischer Bedeutung gewonnen, dass sie - wie etwa im Fall der jüngsten Wahl in Nordrhein-Westfalen - wahlentscheidend wirkt. Aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung konnte die SPD, die nicht nur keinen Stimmenzuwachs zu verbuchen hatte, sondern im Gegenteil Verluste gegenüber dem letzten schon nicht so berauschenden Wahlergebnis hinnehmen musste, trotzdem so viele Mandate gewinnen, dass sie die bisherige Regierung ablösen konnte.
Ob die Nichtwähler das so gewollt haben? Zumindest diejenigen unter ihnen, die der CDU bei dieser Wahl in Scharen davongelaufen sind und darauf verzichtet haben, ihre Stimme abzugeben. Aber was ist mit den immerhin 130.000 ehemaligen SPD-Wählern, die zu den Nichtwählern übergelaufen sind? Wollten auch sie der SPD einen Denkzettel verpassen? Und was ist mit denen, die schon seit Jahren zu keiner Wahl mehr gehen? Haben sie ein wie auch immer geartetes Motiv für diese Haltung oder sind sie nur politisch abstinent?
Aber was heißt das schon: politische Abstinenz? Auch diese kann viele Gründe haben. Immerhin ist angesichts ihrer ständig anwachsenden Zahl das Phänomen der Nichtwähler inzwischen zum Thema geworden. Während in den ersten Jahrzehnten der politischen Geschichte der Bundesrepublik die Wahlbeteiligung bzw. Wahlenthaltung kaum Beachtung gefunden hat, wurden die Nichtwähler zuerst von der akademischen Wissenschaft, dann von den Journalisten entdeckt und sind inzwischen auch den Politikern aufgefallen.
Die wachsende Zahl der Nichtwähler wird von den Politikern der etablierten Parteien zwar nach jeder Wahl mit Krokodilstränen beklagt, hat sie aber bisher nicht zu einer tief greifenden Ursachenforschung veranlasst, die eventuell bei ihnen selber landen könnte. Im Gegenteil, man geht bald zur Tagesordnung über, denn das System ist so gebaut, dass die Nichtwähler politisch einfach nicht zählen. Nicht einmal bei der Zuteilung der Wahlkampfkostenerstattung machen sich die fehlenden Wählerstimmen bemerkbar, weil die Parteienfinanzierung geschickt darauf angelegt ist, de facto nur die abgegebenen Stimmen zu belohnen. Bei der Sitzverteilung spielen die Nichtwähler sowieso keine Rolle. Sie fallen unter den Tisch, wie die Stimmen der kleinen Parteien, die unter fünf Prozent geblieben sind, und man teilt den ganzen Kuchen unter den etablierten Parteien auf.
Werner Peters unternimmt in diesem Buch die längst fällige Rehabilitierung der politisch bewussten Nichtwähler, die erkannt haben, dass die etablierten Parteien sich nirgends mehr auf der Höhe der Zeit und ihrer Probleme bewegen.
Noch schweigen die Nichtwähler. Nicht, weil sie von der Politik nichts verstehen, sondern weil sie viel zu viel wissen, das sie von der Teilnahme an folgenlosen Wahlritualen abhält.
Hier schläft ein Riese, zahlenmäßig inzwischen deutlich stärker als jede der so genannten Volksparteien.
En vächst der erstarrten Parteiendemokratie hierzulande in Gestalt der „Partei der Nichtwähler" die erneuerte Volkspartei von morgen?
Bernd Guggenberger