Tilgung nach Vermögen
In Nordrhein-Westfalen gibt es nach einem Bericht des Kölner Stadtanzeigers über 5.000 Einkommensmillionäre, also Personen, die nach Abzug aller (legalen!) Steuervorteile noch eine Million und mehr an Einkommen versteuern. Ich gehöre nicht dazu. Allerdings bin ich wohl Teil der 10 oder 5 Prozent oder noch weniger der Gesamtbevölkerung, denen mehr als 50 Prozent des Vermögens der deutschen Gesellschaft gehören. Insofern bin ich wohl betroffen von dem Vorschlag der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken, zur Tilgung der ungeheuren Schulden, die von der Regierung aufgenommen wurden, um die Wirtschaft und damit die Gesellschaft vor dem Kollaps durch die Corona-Pandemie zu bewahren, die Vermögenden in Form einer Lastenausgleichabgabe oder Vermögenssteuer stärker heranzuziehen als den Rest der Steuerzahler. Auf diesen Vorschlag erfolgte erwartungsgemäß der Aufschrei der Betroffenen und ihrer journalistischen und politischen Unterstützer: von einem Schritt hin zum Sozialismus war die Rede, gar von Enteignung, Es herrschte Empörung darüber, dass diejenigen, die sowieso mit ihren Steuern am meisten zum Staatsbudget beitragen, erneut zur Kasse gebeten werden.
Der Aufruhr über diesen Vorschlag von Frau Esken ebbte relativ schnell ab, weil die SPD- Vorsitzende trotz ihres bedeutenden Titels in Berlin als politisches Leichtgewicht gilt, dem man wenig Einfluss zutraut. Anders wäre es sicher gewesen, wenn Olaf Scholz oder Angela Merkel solche Gedanken geäußert hätten. Aber diese hielten sich klug aus dieser Debatte heraus, sicherlich weil es nicht opportun ist, sich im Vorfeld von Wahlen mit diesem kleinen, aber lautstarken Teil der Bevölkerung anzulegen, die von einer eventuellen Vermögenssteuer betroffen wären.
Was aber ist so skandalös an diesem Vorschlag? Eine Vermögenssteuer hat es in Deutschland von Anfang an gegeben bis kurz vor der Jahrtausendwende. Sie wurde nicht etwa abgeschafft, weil sie als ungerecht oder unsozial empfunden wurde, sondern aus einem rein technischen Grund. Das Verfassungsgericht hat sie als nicht verfassungskonform bezeichnet, weil die Bemessungsgrundlage eine unverhältnismäßige Bevorzugung des Immobilienvermögens gegenüber dem sonstigen Vermögen enthielt, und es hat dem Gesetzgeber aufgetragen, dieses Ungleichgewicht in einer angemessenen Frist zu beseitigen, andernfalls die Vermögenssteuer in ihrer derzeitigen Form nicht mehr verfassungskonform sei und nicht mehr erhoben werden dürfe. Die Politiker hatten nichts Eiligeres zu tun, als diesen Vorgaben des Gerichts nachzukommen und eine gerechte Basis für die Besteuerung der Vermögen herzustellen? Weit gefehlt, sie entschieden sich für die andere Option und ließen die Vermögenssteuer nach Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist einfach auslaufen. Dasselbe Schicksal drohte übrigens auch der Erbschaftssteuer, die aus demselben Grund (ungerechte Bemessungsgrundlage) für verfassungswidrig erklärt wurde, und es gab genügend Stimmen in der Politik, die sich auch hier für die elegante Lösung aussprachen, die Steuer einfach auslaufen zu lassen. Erst in letzter Minute sozusagen, vor Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist, konnte dieser Skandal verhindert werden.
Eine Vermögenssteuer wäre also nichts Neues oder gar Systemwidriges in unserer Gesellschaft, sondern nur die Wiederherstellung eines früheren und lange Zeit problemlos akzeptierten Zustands. Im Übrigen hat es in der Geschichte unseres Staates auch schon so etwas wie einen Lastenausgleich gegeben, um die damaligen ungleich verteilten Folgen von Krieg und Zerstörung innerhalb der Gesellschaft ein wenig auszugleichen. Diejenigen, denen der Krieg Vermögen belassen hatte (selbst Trümmergrundstücke wurden damals mit herangezogen), wurden verpflichtet zu einer Lastenausgleichsabgabe, die denjenigen zugute kommen sollte, die alles verloren hatten. Auf den ersten Blick könnte man sagen, dass das keinen Bezug zu unserer heutigen Situation hat. Bei näherem Hinsehen zeigen sich aber durchaus interessante Parallelen. Es gibt zwar keine Vernichtung von Vermögen wie nach dem Zweiten Weltkrieg, aber die Verteilung des vorhandenen Vermögens hat ungefähr dieselbe Dimension. Wenn man mal die selbstgenutzten Eigenheime nicht rechnet, die bei einer eventuellen Vermögenssteuer sowieso außen vor blieben, so hat sich das gesamte Volksvermögen bei einer kleinen Schicht der Bevölkerung konzentriert. Und diese Vermögensakkumulation verdankt sich nur zu einem geringen Teil der Tüchtigkeit und dem Fleiß der Besitzenden, sondern ist das Ergebnis des eisernen Gesetzes des Kapitalismus geschuldet, dass aus Vermögen Vermögen entsteht und immer weiter wächst.
Wenn man nun noch bedenkt, dass der Großteil der ungeheuren Schulden, die der Staat zur Bewältigung der Krise aufgenommen hat, dorthin fließt, wo schon Vermögen besteht, um das Überleben der Unternehmen zu sichern, dann scheint es doch keine solche Benachteiligung zu sein, sondern eher ein Akt der Gerechtigkeit, wenn bei der Tilgung nicht alle gleichmäßig herangezogen werden, sondern die Vermögenden einen unverhältnismäßig höheren Beitrag, entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit, beitragen. Im Übrigen würde damit endlich eine vor siebzig Jahren in unser Grundgesetz eingetragene Forderung mit Leben erfüllt: „Eigentum verpflichtet“.