Politik als Popkultur
Foto: Chicago, IL, USA, 2019 by Vince Fleming
Man kommt dem Phänomen Trump und seinem zersetzenden Einfluss auf die amerikanische politische Kultur nicht bei, wenn man die gängigen Kategorien der Politik anwendet. Danach ist er ein Lügner, Narzisst, Hochstapler, politscher Ignorant, Rüpel und Wirrkopf. Aber er ist zum Präsidenten gewählt worden, hat inzwischen vier Jahre als Autokrat durchregiert und hätte ohne die Pandemie und deren verheerende Folgen für die amerikanische Wirtschaft und Gesellschaft vermutlich auch die bevorstehende Wahl gewonnen, was im Übrigen auch jetzt noch nicht ganz ausgeschlossen ist. Keine seiner skandalösen Entgleisungen, keine noch so schockierende Enthüllung wie etwa über seine Einkommensteuervermeidung oder die offen zugegebene Täuschung der Bevölkerung über die Gefährlichkeit des Coronavirus können offensichtlich an der Zustimmung seiner Anhänger etwas bewegen.
Warum haben solche Informationen auf diese Menschen, die immerhin eine beachtliche Minderheit der Bevölkerung darstellen, keine Wirkung? Leben sie in einer anderen Welt, sind sie immun in ihrer selbst gewählten Blase, an der alles abgleitet, was nicht „Trump-konform“ ist?
In der Tat ist es Trump gelungen, zumindest beim harten Kern seiner Anhänger die politische Realität durch eine fiktive Welt zu ersetzen, indem er die etablierte politische Kultur durch die Regeln der Popkultur zersetzt hat. „Anything goes“ – so lautet das Mantra der Popkultur, das der Philosoph Paul Feyerabend geprägt hat. In der Popkultur gibt es keine von einer äußeren Autorität festgesetzten Regeln, wie das bei der Hochkultur der Fall ist, sondern der Künstler setzt selbst die Regeln, lässt durch seine eigene Kreativität neue Formen entstehen. Einziges Kriterium für die Bedeutung des Kunstwerks ist die Zustimmung des Publikums: Gut ist, was gefällt. Diese Regellosigkeit funktioniert im Bereich der Kunst problemlos, wo Hochkultur und Popkultur nebeneinander existieren.
In der Politik aber gibt es keine Parallelwelten, besser gesagt, sollten sie nicht existieren, auf jeden Fall nicht in einer funktionierenden Demokratie. Aber exakt das ist es, was Donald Trump, beginnend mit seinem von Tabubrüchen beherrschten Wahlkampf in den vier Jahren seiner Amtszeit zum Teil bereits erfolgreich umgesetzt hat. Die amerikanischen Autoren Daniel Ziblatt und Steven Levitsky haben in ihrem Buch „Wie Demokratien sterben“ die Bedeutung der ungeschriebenen Regeln für das Funktionieren der Demokratie herausgestellt. Donald Trump hat nicht nur selbst keinerlei Respekt vor den etablierten Institutionen des demokratischen Systems und den Verhaltensnormen einer demokratischen Kultur gezeigt, er hat mit seiner unablässigen Hetze dafür gesorgt, dass inzwischen ein großer Teil der Bevölkerung auf diese Linie der Verachtung demokratischer Ordnungsfaktoren eingeschwenkt ist.
Mit dem von Trump geprägten Begriff der „Fake News“ ist der Angriff auf das Herzstück der Demokratie und die Etablierung der Demokratie als Popkultur eröffnet. Hier geht es nicht mehr nur um die Verachtung von Regeln für das politische Verhalten und den Umgang miteinander in einer demokratischen Gesellschaft, hier wird die politische Realität als solche in Frage gestellt, indem die Frage, was wahr und was falsch ist, der Beliebigkeit anheim gestellt wird. Indem alles, was dem eigenen Weltbild entgegenläuft, als Fake News abgetan wird, kann man sich in eine unangreifbare Isolation begeben, die jede politische Auseinandersetzung unmöglich macht. Demokratie als Popkultur ist sozusagen die amerikanische Version des Totalitarismus, sie muss anders als die autoritären Regimes nach dem Muster von George Orwells 1984 die Meinungsfreiheit nicht mit Gewalt unterdrücken, sie macht sich einfach immun gegen Kritik, indem sie die Frage nach der Realität für irrelevant erklärt. Was wahr oder falsch ist, entscheidet keine höhere Autorität, sondern die Zustimmung des Volkes. Solange dieses zumindest in seiner Mehrheit die neue „Realität“ anerkennt, ist sie gültig.
Das System Trump ist von außen nicht angreifbar, es kann nur von innen implodieren. Wie der Popkünstler so lange Erfolg hat, wie sein Auftreten gefällt, so wird sich auch Trump und alle, die ihm nacheifern, immer nur so lange halten, wie die Gefolgschaft gläubig und bedingungslos hinter ihm steht. Allerdings besteht die Gefahr, dass Trump entsprechend dem Textbuch der Autokraten, nachdem er die ungeschriebenen Regeln der Demokratie außer Kraft gesetzt hat, auch die Grenzen, die ihm die Gesetze und die Verfassung setzen, versuchen wird niederzureißen.
Aber auch wenn Trump als Präsident abgewählt wird und selbst, wenn er dann in der politischen Versenkung verschwindet, was keineswegs ausgemacht ist, werden die Zerstörungen der politischen Kultur durch die Wucht seines neuen Politikstils nicht von jetzt auf gleich verschwinden. Im Gegenteil, es ist zu befürchten, dass zukünftige Möchte-gern Autokraten sich an ihm ein Beispiel nehmen und denselben Weg zur Macht, nur etwas geschmeidiger, einschlagen. Es ist zu befürchten, dass Donald Trump, der die amerikanische Demokratie in ihrem Erscheinungsbild verzerrt hat, sie auch im Kern, in ihrer Funktionsweise möglicherweise unheilbar beschädigt hat.